Um dieses Gebet zu verstehen, müssen wir uns an das Evangelium erinnern, und zwar genau dort, wo es heißt: „Der Heilige Geist wird über euch kommen und die Kraft des Höchsten wird euch überschatten“ (Lk 1). Das Wort des Engels an Maria erinnert dann an die Gegenwart der Herrlichkeit Gottes in dem in der Wüste erbauten Heiligtum und weist darauf hin, dass Maria das neue und wahre Heiligtum ist, der Ort, an dem Gott sein Zelt unter uns aufschlägt, von dem es in der Antike nur einst war Schatten und eine Gestalt: „Dann bedeckte die Wolke das Zelt der Begegnung und die Herrlichkeit des Herrn erfüllte die Wohnstätte.“ Mose konnte das Zelt der Zusammenkunft nicht betreten, weil die Wolke darüber war und die Herrlichkeit des Herrn das Haus erfüllte“ (Ex 35, 40-34).
Und so stellt der Evangelist Johannes fest: „Das Wort ist Fleisch geworden und hat gelebt – im wahrsten Sinne des Wortes: Er hat sein Zelt aufgeschlagen – unter uns“ (Joh 1, 14).
Wir sehen, wie die Worte der Heiligen Schrift ineinandergreifen und sich aufeinander beziehen, sich überschneiden und sich so gegenseitig erhellen. So bezieht sich die gesamte Verkündigungsepisode wörtlich auf die Worte des Propheten Sacharja: „Freue dich, Tochter Zion, [...] und freue dich von ganzem Herzen, Tochter Jerusalem [...] des Herrn, deines Gottes.“ In deiner Mitte ist ein mächtiger Retter“ (Zeph 3, 14-17). „Freue dich“, auf Griechisch „cháire“, ist das vom Engel verwendete Verb, das wir normalerweise mit „Hagel“ oder im Lateinischen mit „ave“ übersetzen; Maria ist die Tochter Jerusalems schlechthin, weil in ihrem Leben der Glaube und die Erwartung Israels zum Ausdruck kommen. Die Jungfrau wird sich von ganzem Herzen freuen, das heißt, sie wird den Herrn preisen, der „in ihrer Mitte“ ist, das heißt im strengsten und wörtlichsten Sinne, „in“ ihr, in ihrem Schoß, ein „ Retter“, also Jesus, was „Gott rettet“ bedeutet.
Auf diese Weise verstehen wir, wie das Herz Jesu im Schoß der Jungfrau durch den Heiligen Geist geformt wurde. Und es entsteht noch im Schoß der Kirche: Wir beobachten, wie Christus Fleisch im Leib Mariens ist, aber auch Fleisch in seinem mystischen Leib, der Kirche, in der Eucharistie, denn er sagt: „Mein Fleisch – das.“ „Mein Leib ist wahre Speise“ (Joh 6, 55). So wird der Altar, auf den wir Brot und Wein legen, auf dem wir den Heiligen Geist anrufen, wie der Mutterleib, der fruchtbare Mutterleib der Kirche, in dem Christus unter uns geboren wird, wie auf einer neuen Krippe, jedes Mal gleich in Bethlehem. Christus ist also die Wahrheit im Herzen Mariens, und es ist auch die Wahrheit, die unsere Herzen erleuchtet: Er selbst ist durch den Glauben in uns geformt und geboren, durch den Heiligen Geist in uns erweckt. Maria ist daher Bild, Ikone und Vorbild der Kirche und damit jeder gläubigen Seele.
Christus ist in Maria und damit auch in uns geboren. Wir werden mit Maria zu Trägern Christi, oder besser gesagt seiner Mutter, im wahren und präzisen Sinne: „Wer den Willen Gottes tut, ist mein Bruder, meine Schwester und meine Mutter“ (Mk 3). Das Herz Christi wird in uns geformt, wenn wir lernen, für uns selbst zu wählen und zu wünschen, was er für sich selbst gewählt und gewünscht hat, nämlich alle Demut, Sanftmut und Geduld.